Kategorie: Popped out of Pop
Witzgescheiter Geistesblitzableiter
„Ich bin, ich bin /
Na, wie gehts denn weiter? /
Kein So-tun-als-ob, nur als ob nix dabei war /
Ein klitzekleiner witzgescheiter Geistesblitzableiter.“
Dendemann: „Ich dende, also bin ich“, auf Da nich für (Vertigo Berlin 2019)
„Ich dende, also bin ich“, rappt Dendemann am Anfang seiner neuen Platte. Und zeigt damit einmal mehr, dass er lieber mit philosophischen Fragen und Wortarchitekturen spielt, als eine Streetcredibility und Präpotenz zu bebrüllen, die schon den vielen Kollegahs keiner abkauft, der das Leben nicht nur aus YouTube kennt. Klar, der Hamburger, Jahrgang 1974, ist mit seinem vergnüglichen, sprachfixierten, schelmenpoetischen Ansatz nicht allein in der nun auch schon drei Jahrzehnte überspannenden blühenden Deutsch-Rap-Szene. Käptn Peng und Marteria, die späten Fantastischen Vier, Blumentopf (RIP) und einige mehr schlagen mit großem Vergnügen bei guten Haltungsnoten Purzelbäume auf der Wortweide. Rhythmische Grammatik-Gymnastik, die der abgehangenen Hip-Hop-Turnerschaft mehr Kraft und Vitalität beschert als markige Protz-Recken mit standardisiertem Wortzirkeltraining. Von witzgescheiten Geistesblitzableitern, die sich selbst als klitzeklein bezeichnen und doch so groß sind, kann kaum einer je genug kriegen, der lieber Sätzen als Menschen Schönheitspreise verleihen möchte.
Glücksgift
„Ich zerlatsch den Tag stundenlang im Park, fahrig und verwirrt, bis es dunkel wird.“
Isolation Berlin: „Serotonin“, auf Vergifte dich (Staatsakt 2018)
Den Namen Tobias Bamborschke sollte man sich merken. Er schreibt Songs mit perlenden Texten, Gedichte mit glücksgiftigen Zeilen. Als wollte Peter Doherty Charles Bukowski nacheifern, musengeküsst im Suff, rhythmisch, derb, lyrisch frei, geht er den Weg des wütenden Romantikers beim exzessiven Scheitern. Bamborschke war es, der mich zu einem Plädoyer für mehr Poesie im Pop inspiriert hat, das unter dem Titel Pferde stehlen mit Helene in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist.
Nabelschnurstracks ins Herz
„Kaum ist die Nabelschnur ab, schon steh’n wir alle auf dem Schlauch.“
Gisbert zu Knyphausen: „Das Licht dieser Welt“ (0:45) auf Das Licht dieser Welt (2017).
Da ist er wieder. Wieder so ein Knyphausen-Satz. Anders als sein Name vermuten lässt – Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen, so viel Zeit muss sein – hat der Songwriter einen Hang zur poetischen Prägnanz. Er liebt das Sprachspiel wie er auch das Spiel mit musikalischen Stimmungen und Arrangements liebt. Er denkt Redewendungen weiter („Jeder Tag ist ein Geschenk, er ist nur scheiße verpackt.“), bringt wortschlau zusammen, was zusammengehört („Schenk du uns die Drinks ein, ich schütte dir mein Herz aus.“). Schenken, schütten. Geschenk, verpackt. Schnur, Schlauch. Ach, schön!
Geerdet vom Leben, diesem bipolaren Clown, gelingen ihm Zeilen, die man lange suchen muss bei den deutschsprachigen Songwriter-Kollegen. Hier gibt es sie zuhauf: auf dem herzfeurig herbeigesehnten dritten Album „Das Licht dieser Welt“. Mal philosophisch („Es dauert lang, bis man lernt, bis man lernt, ein Niemand zu sein.“), mal verschmitzt („Der Wind reißt an den Kiefern, die Musik an deinen Speakern.“), mal melancholisch („Meine Zeit, sie ging so schnell/Und dabei lauf‘ ich schon so lang/Auf meinem Weg Richtung Unendlichkeit/Ist schon eine Ewigkeit vergangen.“). Und meist zum Niederknien. Chapeau!
Da ist etwas im Wiebusch
„Von den verbitterten Idioten nicht verbittern lassen.“
Kettcar: „Den Revolver entsichern“ auf „Ich Vs. Wir“ (2017)
„Das Beste ist immer der Feind des Guten.“
Kettcar: „Auf den billigen Plätzen“ auf „Ich Vs. Wir“ (2017)
„Keine einfache Lösung haben, ist keine Schwäche /
Die komplexe Welt anerkennen, keine Schwäche /
Und einfach mal die Fresse halten, ist keine Schwäche /
Nicht zu allem eine Meinung haben, keine Schwäche.“
Kettcar: „Den Revolver entsichern“, auf „Ich Vs. Wir“ (2017)
„Wenn du das Radio ausmachst, wird die Scheißmusik auch nicht besser.“
Kettcar: „Trostbrücke Süd“ auf „Ich Vs. Wir“ (2017)
Ein Pop-Album mit Haltung und Zeilen zum Niederknien. Zum Nachdenken, Nachbeten und Nachahmen. Und mit einem Song, der im früheren Leben Kurzgeschichte gewesen sein muss. Das alles passiert ungefähr so häufig wie, eben, eine Platte von Kettcar. Die erste seit fünf Jahren ist eine inhaltliche, musikalische und sprachliche Wucht. Die reifste Mango am Baum der Songwriter-Erkenntnis, um nicht zu sagen: Irgendwas ist da im Wiebusch … Weiterlesen
Auf Stimmenfang in Sülz
„Vertrauen ist gut, Kontrolle für Besserwisser.“
Annen May Kantereit: „3. Stock“ (2:25), auf Alles nix Konkretes (2015).
Klar, die Stimme, ohne die wären Annen May Kantereit nur talentierte Straßenmusiker aus Köln-Sülz, deren Freude an Rumpelrock für Altbaumädchen mindestens ansteckend ist. Mit der Stimme von Henning May jedoch, dieser einlullenden, rezeptfreien Überdroge, hat sich das deutsche Indie-Wunder bis zum Erstplatzierten der Album-Charts hochgebrummt. Die Stimme klingt nach Whiskeykater und Zigarettenmief, nach Kneipenmarathon und Liebesleid, nach verpassten Chancen und den Furchen des Lebens. Nach all dem klingt diese Stimme, nur nach einem klingt sie nicht: nach Anfang zwanzig. Weiterlesen
Bademeister mit Philosophie-Diplom
„Ich schwimmte, schwamm und schwomm, endlich bin ich angekommen.“
Dendemann: „Endlich Nichtschwimmer“ (0:50), auf: Die Pfütze des Eisbergs (2006)
Fehler macht jeder „in diesem Freibad, das sie Leben nennen“. „Manche schwimmen mit, manche gegen den Strom, doch ich frag: Schwimmen wir noch oder leben wir schon?“ Ein Tiefseetaucher im Wörtermeer ist dieser Dendemann aus Hamburg, ein Surf-Freak im Fluss der wildesten Reime, ein Bademeister mit Philosophie-Diplom. Denn mal ehrlich: Wer Grammatikfehler als Metaphern für das Scheitern und Strampeln gebraucht, so klangvoll, verspielt und raffiniert, der hat das Leistungsschwimmabzeichen für Rapper überhaupt nicht nötig. Den macht so schnell keiner nass, rein sprachlich gesehen. Kein Wunder bei Zeilen wie diesen:
Ich bin kein Rapper, nur ein Bluessänger auf Abwegen,
bin kein Rebell, nur ein Fußgänger auf Radwegen.
Bin kein hartnäckiger Wadenbeißer,
bin kein Freischwimmer, ich bin Bademeister.
Worte wie Küsse
„Alles, was wir fühlen, zerfällt in dem Augenblick, in dem wir es versuchen zu erklären.“
Madsen: „Küss mich“ (1:29), auf: Kompass (2015)
Am Anfang war die Zeile. Wie inspirierend schöne Sätze für die Musik sein können, zeigt die niedersächsische Rockband Madsen. Die Songschreiber aus dem Wendland bauen mitunter ganze Popstücke um einen Gedankenblitz herum, wie bei „Küss mich“ geschehen, einem der stärksten Songs vom aktuellen Album „Kompass“. Dass der Sänger Sebastian Madsen nicht nur kathartisch brüllen, sondern den Brüllstoff auch fein texten kann, wissen Popfreunde seit der ersten Single „Die Perfektion“, erschienen vor zehn Jahren. Als Botschafter für die deutsche Sprache sind Madsen vor ein paar Jahren durch die USA getourt, auf Einladung des Goethe-Instituts. Und jetzt bitte keine weiteren Erklärungsversuche mehr, sonst zerfällt der Zauber der Worte. Einfach hören, genießen, küssen.
Herrenherzblut
„Doch bei einem halben Herzen kommt nie der ganze Mut zusammen,
du kannst die Dinge nicht verwerfen, nur um sie irgendwo wieder aufzufangen.“
Herrenmagazin: „Halbes Herz“ (0:58), auf: Sippenhaft (2015)
Herrenmagazin. Die erste Assoziation ist – falsch! Hier geht es nicht um die windige Prosa einschlägiger Heftl, sondern um den durchdachten Poesie-Pop der gleichnamigen Indie-Rockband aus Hamburg. Die Herrschaften um den Gitarre schrubbenden Sänger Deniz Jaspersen punkten insbesondere mit den Texten. Ausgerechnet, bei dem Namen. Mehr schöne Sätze von Herrenmagazin gibt’s hier.
Friebe sei mit euch
„Nackte Angst, zieh dich an, wir gehen aus.“
Jens Friebe: „Nackte Angst, zieh dich an, wir gehen aus“ (0:45), auf: Nackte Angst, zieh dich an, wir gehen aus (2014).
Es gibt Pop-Alben, die sind nicht zu fassen. Weil sich die Texte als poetische Perlenketten entpuppen, deren Schönheit man nur erahnen kann, schon sind sie einem wieder entglitten. Nun ist Jens Friebe nicht dafür bekannt, in Speed-Metal-, Battle-Rap- oder Shouter-Manier Textlawinen rauszuhauen – im Gegenteil entwickelt sich der Autor und Songwriter zunehmend zum Chansonier unter den Indie-Elektro-Poppern. Er nimmt sich die Zeit, die Eleganz braucht. Und doch verklingen die feinsten seiner Zeilen viel zu schnell. Weiterlesen
Schmerzens-angelegenheiten
- „If i had tried to make you mine / You would’ve walked away / Life can’t compete with memories / That never have to change.“ („Artifact #1“)
- „Freedom is the opposite of love.“ („Lonely At The Top“)
- „It ain’t perfect / Nothing is / There is still room to grow“ („Double Life“)
- „I’m blessed with a heart that doesn’t stop.“ („Zigzagging Toward The Light“)
- „Home is a perjury, a parlor trick, an urban myth“ („Zigzagging Toward The Light“)
- „Love was the message, full stop.“ („Hundred Of Ways“)
Conor Oberst, auf: Upside Down Mountain (2014).
Conor Oberst ist so einer. Einer, der Lyrik vergoldet. Leider auch Lyrik vergeudet, und das ist das Problem. Ein Luxusproblem, freilich. Der Indie-Folk-Heiland aus Omaha packt derart viele Lieblingssätze in seine textreichen Songs, dass sie bisweilen untergehen in der Flut aus musikalischer Ekstase und rauschhafter Katharsis. Mitunter auch im Live-Genuschel. Dabei sind seine Worte mindestens brillant, weil stark verdichtet, bildhaft und von zauberhafter Poesie. Egal ob auf Bright Eyes-Platten oder, wie zuletzt, auf seinen Soloalben. Für seine Schmerzens-angelegenheiten muss man Oberst lieben. Wenn seine Sehnsuchtsstimme flattert, ist es im Publikum still wie im Herz eines Ungeliebten.