Auf Stimmenfang in Sülz
„Vertrauen ist gut, Kontrolle für Besserwisser.“
Annen May Kantereit: „3. Stock“ (2:25), auf Alles nix Konkretes (2015).
Klar, die Stimme, ohne die wären Annen May Kantereit nur talentierte Straßenmusiker aus Köln-Sülz, deren Freude an Rumpelrock für Altbaumädchen mindestens ansteckend ist. Mit der Stimme von Henning May jedoch, dieser einlullenden, rezeptfreien Überdroge, hat sich das deutsche Indie-Wunder bis zum Erstplatzierten der Album-Charts hochgebrummt. Die Stimme klingt nach Whiskeykater und Zigarettenmief, nach Kneipenmarathon und Liebesleid, nach verpassten Chancen und den Furchen des Lebens. Nach all dem klingt diese Stimme, nur nach einem klingt sie nicht: nach Anfang zwanzig.
Stimmt aber. Die Stimme ist jünger als Taylor Swift, das muss man sich mal vorstellen, und May, ein Drittelnamensgeber der Überflieger, sieht auch jünger aus als Swift. Das liegt daran, dass die lebensklugen Barfuß-Rocker vor sechs Jahren, als die Band gegründet wurde, noch zur Schule gingen. Wer es indes noch immer nicht glauben kann, dass die Stimme zu dem Frontbubi aus dem Video gehört, der darf im Netz gern nach alternativen Fakten suchen. Aber wie singen Annen May Kantereit so schön: „Vertrauen ist gut, Kontrolle für Besserwisser.“ Denn das ist die zweite Droge dieser Band, die Zeilen, ohne die wären die Jungs nur talentierte Straßenmusiker aus Köln-Sülz, deren Sympathie für Pocahontas mindestens lustig ist.