Getagged: Joachim Lottmann
Erste Sätze über erste Sätze
„Ich weiß, gerade auf den ersten Seiten, ja, mit den ersten Absätzen, eigentlich schon mit dem ersten Satz einer solchen ,klassischen‘ Erzählung erwartet der Leser zu Recht ganz besonders niveauvolle Literatur, gelungene Formulierungen, einen unvergesslichen Einstieg in den feinen, nicht gerade billigen ,sprachlichen Gourmet-Happen‘, wie Kritiker so was manchmal nennen.“
Joachim Lottmann: Hotel Sylvia. Haffmanns & Tolkemitt, 2016.
Der Lottmann nun wieder. Der turtelt ja gern mit den Erzählformen, schreibt hin, was ihm gerade durch den Kopf mäandert, egal, was knurrende Romantheoretiker und Textdiktatoren so von sich geben. Auf diese Weise hat der munter gereifte Popliteraturpionier bereits herrlich absurde, unkonventionell schöne Einstiege vorgelegt. In seiner Novelle „Hotel Sylvia“, einer für seine Verhältnisse doch recht aufgeräumten Erzählung, manche sagen: Alterswerk, wählt er einen ganz besonderen Kniff: Die hohen Erwartungen an einen ersten Satz wortästhetisch zu thematisieren, ergibt womöglich selbst einen brauchbaren ersten Satz, so der Grundgedanke. Weiterlesen
Die beliebtesten Lieblingssätze 2015
Hurra und Tusch, die Lieblingssätze des Jahres stehen fest. Die Liste der beliebtesten Romananfänge und Songzeilen, die 2015 im Museum der schönen Sätze aufgenommen und dokumentiert wurden, ist eine zeitgenössische deutsch-britische Mischung. Die Platzierung ergibt sich aus den Bewertungen in den Social-Media-Kanälen und im Blog. Die besten (Internet-)Fundstücke sind extra notiert. Vielen Dank an dieser Stelle für das motivierende Feedback und den regen Austausch der Museumsbesucher, Facebook-Fans und Twitter-Follower. Auf ein neues Jahr voller inspirierender Wörterminiaturen!
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Lieblingsbücher 2015
Subjektiv. Unvollständig. Ehrlich. Hier die persönliche Top Ten meiner Lieblingsbücher, die ich 2015 gelesen habe. Einige davon haben es mit ihren ersten Sätzen ins Museum der schönen Sätze geschafft. Lesenswert sind sie alle. Sätze wie Bücher.
1. Vea Kaiser: Makarionissi
2. Heinrich Steinfest: Das grüne Rollo
3. Robert Seethaler: Jetzt wirds ernst
4. Robert Seethaler: Die weiteren Aussichten
5. Robert Seethaler: Die Biene und der Kurt
6. Thees Uhlmann: Sophia, der Tod und ich
7. Irvine Welsh: Das Sexleben siamesischer Zwillinge
8. Joachim Lottmann: Happy End
9. Daniel Glattauer: Geschenkt
10. Einzlkind: Billy
- Klassiker des Jahres: Truman Capote: Frühstück bei Tiffany
- Sachbuch des Jahres: Michael Althen: Liebling, ich bin im Kino!
Viva Wurschtigkeit
„Es gibt ja diesen Fall von diesem, äh, amerikanischen Dramatiker, Henry Miller, oder Arthur Miller, der mit Marilyn Monroe verheiratet war und danach nicht mehr schreiben konnte.“
Joachim Lottmann: Happy End. Haffmans & Tolkemitt, 2015.
Es gibt ja diesen Stil von diesem, äh, nicht mehr ganz so jungen Popliteraten, Jochen Lottmann, oder Joachim Lottmann, der mit Endlich Kokain seinen späten Durchbruch hatte und danach völlig abdrehte. Oder, nein, der die schönste Frau des Landes heiratete, mit dem Wolfgang-Koeppen-Preis ausgezeichnet wurde, und das alles war so toll, dass er nie mehr schreiben konnte. Nicht mehr schreiben können ist eine feine Sache, man kann dann tippen, was man will, ich probiere das gerade aus. Der Lottmann macht das auch, weshalb sein neuer Roman, der keiner ist, eine herrliche Frechheit geworden ist. „Happy End“ ist eine Abrechnung mit dem Literaturbetrieb, mit den literarischen Formen sowieso. Man könnte sagen: Der Aufsatz zeigt Lottmann auf dem Höhepunkt seiner Wurschtigkeit. Weiterlesen
Mein Freund, der Braum
„Es war der zweite Frühlingstag des Jahres, der 4. März 2013, als Stephan Braum einen jungen Mann traf, der sein Leben – wenn das, was er bis dahin würgend dahingestottert hatte, Leben genannt werden kann – auf den Kopf stellte.“
Joachim Lottmann: Endlich Kokain. KiWi, 2014.
Auch ein Buchrücken kann entzücken. Vor allem einer, auf dem groß und fett wie der Protagonist der Geschichte zwischen filigraner Handschriftimitation die Worte protzen: „ES KOMMEN DROGEN, SEX UND ABENTEUER.“ Aber ja, das macht neugierig. Ein bisschen schade ist es aber auch, dass durch die überaus präzise Vorausdeutung der erste Satz des Romans – ein geschickt gebautes Ködernest – an Zauberkraft verliert, weil die Phantasie gerade mit Vögeln auf Koks davonfliegt. Gleichwohl darf man sich nach dieser Eröffnung auf eine ungeheuerliche Wandlung eines Mannes namens Braum gefasst machen. Eines ausgebrannten Medienkolosses und Vollzeitspießers, dessen Kokaindiät ihm neues Leben schenkt – mit Anerkennung, Frauen und allem Pipapo. Sogar mit Glück. Joachim Lottmanns zynische Satire ist eine rauschhafte Abrechnung mit völlig überdrehten Künstler-, Politiker-, Vip- und Medienkreisen in Wien, Berlin und überall. Das Beste aber ist: Den Kater danach braucht man nicht zu fürchten. Der fällt aus, das steht fest wie die Anziehungskraft des Buchrückens.