Das pralle Leben im ersten Satz
„In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“
Benedict Wells: „Hard Land“. Diogenes, 2021
Erste Sätze sind wie Dates. Sie können sich als Hochstapler entpuppen, als Langweiler oder Reinfälle, im besten Fall sind sie die Erfüllung schlechthin. Benedict Wells lässt seinen neuen Roman mit einem Satz beginnen, in dem die Essenz der Geschichte steckt, Plot und Spoiler zugleich. Denn darum geht’s in „Hard Land“, um den schönsten und schlimmsten Sommer, das pralle Leben im ersten Satz.
Wells liebt erste Sätze. Das verbindet ihn mit Kirstie, einer der Figuren seiner zauberhaften Coming-of-Age-Geschichte über einen jungen Außenseiter in Missouri 1985. Denn Kirstie, in die sich ebenjener Sam Hals über Kopf verknallt, sammelt Romananfänge, immer wieder tauscht sie sich mit Sam darüber aus. Einer beeindruckt den Ich-Erzähler ganz besonders, er stammt aus Charles Simmons‘ Roman „Salzwasser“ und lautet: „Im Sommer 1963 verliebte ich mich, und mein Vater ertrank.“ Das wiederum bringt den Leser zu der Erkenntnis: Der erste Satz von „Hard Land“ ist ein Remix, und zwar ein dramaturgisch kluger. Da nämlich Sam Simmons‘ Zeile verehrt und nun seine Erinnerungen, die „Hard Land“ formal sind, mit einer Variation davon beginnt, steckt in Wells‘ Auftakt mehr als die Essenz der Geschichte: eine Extraportion Raffinesse.
PS: Dieser Text ist ebenfalls ein Remix. Die Langversion ist kürzlich in der Süddeutschen Zeitung erschienen. Auch Wells macht aus seiner Remix-Taktik kein Geheimnis, sein Roman ist eine Hymne auf die Musik und Filme der Achtziger, ein Füllhorn an Referenzen. Vor dem ersten Kapitel steht ein Zitat aus „Ferris macht blau“ (zudem gibt es hier wie da einen Cameron), auf der Leinwand laufen „American Graffiti“ und „Breakfast Club“, und oft lockt im Feld der Roggen, in Anspielung an den berühmten Fänger.