Kategorie: Popped out of Pop
Die Muse der Zeit
„Don’t waste your time, or time will waste you.“
Muse: „Knights of Cydonia“ (2:27), auf: Black Holes And Revelations (2006).
Dass Muse, diese himmelhochstrebende Bombastband aus Devon, ihre Zeit nicht vertrödeln, daran besteht kein Zweifel. Sechs künstlerisch anspruchsvolle Bestseller-Alben in 13 Jahren zu wuppen, noch dazu auf allerhöchstem Produktionsniveau, kommt nicht gerade häufig vor. Selbst auf der musikberauschten Insel namens Großbritannien.
Wenn es überhaupt eine Schwachstelle gibt bei dieser Supergroup der Nullerjahre, dann ist diese in den Texten zu finden. Matthew Bellamy mag ein Gott an der Gitarre, ein Virtuose am Flügel, ein Sonderling im Songwriting sein, aber die goldene Lyrikfeder wird an ihm vorbeiwehen. Auf ihrem neuen, gewöhnungsbedürftig experimentellen Album „The 2nd Law“ machen sich Muse mitunter Gedanken über Thermodynamik und Darwinsche Survival-Prozesse („Life is a race, and i’m gonna win.“). Seit jeher schillern in ihren Songs Verschwörungstheorien und naturwissenschaftliche Anspielungen durch, die öfter krude als genussreich sind. Dagegen kommt ihre vielleicht schönste Zeile (siehe oben) zeitlos schlau daher. Man könnte hier noch in die Tiefe gehen. Aber wir haben doch keine Zeit …
In memoriam Nils Koppruch
„Lebend gehen wir nicht mehr aus der Welt.“
Nils Koppruch: „Kirschen (wenn der Sommer kommt)“ (0:54), auf: Caruso (2010).
In Gedenken an den Hamburger Tausendsassa Nils Koppruch, der am 10. Oktober 2012 im Nicht-Alter von 47 Jahren gestorben ist. Mögen sie im Himmel Kirschen auftischen, allzeit guten Bluegrass auflegen und dir schöne Zeilen wie die deinen ins Ohr frohlocken.
Mehr Licht!
„Gesellschaft ist toll, wenn nur all die Leute nicht wären.“
Peter Licht: „Das Ende der Beschwerde“ (0:28), auf: Das Ende der Beschwerde (2011).
Peter scheut das Licht wie der Misanthrop die Menschen. Seit sich der Kölner Versteckspielkünstler im Jahr 2000 in die Öffentlichkeit wagte (nur bedingt freilich), führt er Journalisten und Publikum an der Nase herum. Mal ist er hier, mal ist er auf’m Sonnendeck. Mal nennt er sich Meinrad Jungblut, mal Peter Licht. Mal macht er Pop, mal macht er Rock. Mal schreibt er Gedichte und Theaterstücke, mal Tagebuchfetzen und Geschichten. Eines aber ist er immer: ein wandelbarer Gesellschaftskritiker mit Talent für Slogans und schöne Zeilen.
Hummer bringen Kummer
„Wer nicht geht, kommt nie wieder, und wer bleibt, ist nie weg.“
Element of Crime: „Kopf aus dem Fenster“ (1:15), auf: Immer da wo du bist bin ich nie (2009).
Dass Sven Regener ein wortgewandter Erzähler ist, haben wir an anderer Stelle bereits gewürdigt. Ursprünglich entwickelte der Bremer Stadtmusikant sein Talent zum Schreiben aber als Chefkauz und Geschichtenschnodderer der Chanson-Kapelle Element of Crime. Zuerst noch ins Englische flüchtend, entdeckte der knurrige Poet bald den Reichtum seiner Muttersprache. Seitdem überrascht er den Plattitüden gewöhnten Pop-Hörer mit phantasievoller Kurzprosa, liebenswerten Träumereien und lyrischen Absurditäten. Er erklärt nicht viel in seinen Texten, lieber regt er an, der Regener.
Heute ist heute ist heute
„Heute war gestern schon morgen.“
Chima: „Morgen“ (2:10), auf: Stille (2012).
Moment mal: Wenn heute gestern morgen war, ist dann morgen heute gestern?
„Morgen ist heute schon gestern.“
Tic Tac Toe: „Morgen ist heute schon gestern“ (1:06), auf: Ist der Ruf erst ruiniert … (2000).
Und wenn morgen heute gestern ist, war dann gestern heute noch morgen?
„Gestern war heute noch morgen.“
Tylah & Mask: „Gestern war heute noch morgen.“ Auf: Gestern war heute noch morgen (2010).
Aha! Ziemlich kompliziert heute. Dann doch lieber das gute alte Carpe diem, pflücke den Tag. Oder „All You Need Is Now“, wie Duran Duran singen. Okay, die sind von Gestern, und morgen formuliert es ein anderer wieder ganz anders. Aber heute ist heute ist heute.
Peng! Hip-Hop lebt!
„Natur ist nichts weiter als Bewusstsein, das wächst, es sind wir, die wir werden im unendlichen Jetzt.“
Shaban & Käptn Peng: „Von Form zu Form“ (2:44), auf: Die Zähmung der Hydra (2012).
Peng! Da platzt dir die Hutschnur! Wer sich die Debütplatte des Brüderduos Shaban & Käptn Peng reinzieht, dem zerfetzt es mit hoher Wahrscheinlichkeit die Bewusstseinsblase (vorausgesetzt, er vertieft sich in die Textflut und hört das Meisterwerk nicht nur nebenbei). Und er stellt sich Fragen. Erstens: Wer sind diese Burschen, die sprechsingender Weise Plattitüden platt machen und aus der gereimten Sprache alles, aber auch wirklich alles herausholen möchten? Zweitens: Ist das noch phantastische Poesie oder schon WahnsinnPhilosophie? Und drittens: Ist deutschsprachiger Hip-Hop doch noch nicht durch?
Shaban & Käptn Peng sind schauspielernde Schauspielersöhne. Sie heißen Johannes und Robert Gwisdek und sind die Kinder von Michael Gwisdek und Corinna Harfouch. Es ist davon auszugehen, dass die Berliner ihr Talent für Theatralik, Rhythmik und Sprachgewandtheit buchstäblich in die Wiege gelegt bekommen haben. Aber dass sie derart auftrumpfen, wenn sie zu Beat-Computer und Mikrofon greifen, ist keineswegs selbstverständlich. Zeilen wie „Ich bin nicht verrückt geworden, ich hab mich selbst verrückt“ oder: „Bitte nehmen Sie eine Identität an, Anonymität ist die Maske von Tätern“ sind Beispiele ihrer kreativen Wort- und Denkkunst, die sich – wo gibt’s im Pop denn so was? -, erst beim mehrmaligen Hören erschließt. Das findet man höchstens noch bei Thomas Ds Reflektor Falke. Und deshalb: Ja wie jawoll! Wenn Hip-Hop auch so sein kein, dann hat er durchaus eine Zukunft. Eine mit schönen Sätzen statt mit Battle-Reimen.
Das Beste an Bernd Begemann
„Ich hab nichts erreicht außer dir, bitte bleib bei mir, denn das Beste an mir sind wir.“
Bernd Begemann: „Ich hab nichts erreicht außer dir“ (0:36), auf: Unsere Liebe ist ein Aufstand (2004).
Also stapelt er mal wieder tief, der Grandseigneur der Hamburger Schule. Denn das Beste an ihm ist keineswegs sie oder irgendwer – das ist schon immer er selbst gewesen. Er, der aus Bad Salzuflen aufgebrochen war, um Entertainer zu werden; der als One-Man-Show viele Jahre durch die deutschen Clubs tingelte und mit verschiedenen Bands lustige, aber auch wegweisende Dinge anstellte. Scham und Scheu scheint er in Westfalen-Lippe zurückgelassen zu haben, experimentierfreudig ist er noch immer. Klebriger Befindlichkeitspop, sagen die einen. Und wenn schon. Solange dabei so herrliche Zeilen wie diese herauskommen, darf der Mainstream-Gegenschwimmer ruhig nach Reinhard Mey Jürgen Drews Schlagerfuzzi deluxe klingen.
Außerdem – und das ist nicht das schlechteste Argument – kann sich der Autor dieser Zeilen aus einem sehr konkretem Grund nicht dagegen wehren, Bernd Begemanns Initialen gut zu finden.
Risse zur Erleuchtung
„There’s a crack in everything, that’s how the light gets in.“
Leonard Cohen: „Anthem“, auf: The Future (1992).
Einen Weisheitssatz wie diesen in ein Liedlein zu packen, ist eine dumme kühne Idee. Zu leicht wird er überhört, zu wenig darüber nachgedacht. Aber was soll er machen, der Leonard Cohen? Die Ursprünge seines Schaffens liegen im Schreiben, er war Dichter und Schriftsteller, bevor er sich in der Musik verlor. Als Singer-Songwriter bringt Cohen beides zusammen: gehaltvolle Gedanken und markante Melodien. Da zieren Zeilen seine zerrissenen Folksongs, von denen musenresistente Kollegen ihr Leben lang träumen. Sätze wie dieser: „I’ve seen the future, it’s a murder.“
Was die Sache mit dem Riss und dem Licht betrifft, so sei dies durchaus ein fröhlicher Gedanke, erklärte der Kanadier in einem Interview, allerdings nur für jene, die imstande sind, die Wahrheit zu genießen. Die Wahrheit, dass alles Irdische einmal zerbricht, um dem Neuen den Weg zu bahnen. Wer kennt schon die Liebe, dessen Herz noch nie gebrochen wurde? Und ist es nicht Enttäuschung, die häufig zur Erkenntnis führt? Wer länger darüber nachdenkt, was zwischen den Worten alles schlummert, der verpasst den Song. Das ist der Preis für gute Texte: Sie sind Einladungen zum Gedankentanz zu einer flüchtigen Musik.
Geschüttelt, nicht gerührt
„When you take me in your arms and talk romance, my heart starts doin‘ that Saint Vitus dance.“
Jack White: „I’m Shakin'“ (0:41), auf: Blunderbuss (2012).
Die einen machen es sich leicht. Sie schreiben und singen von klopfenden wahlweise pochenden Herzen, um den Rausch des Verliebtseins in Worte zu fassen. Andere hüpfen neue Wege. Sie schreiben und singen von Herzen, die geschüttelt werden wie Tänzer, die sich zu Ehren des Heiligen Vitus ins Zeug legen und den Saint-Vitus-Dance zelebrieren. Die einen sind Alltagspoeten, von denen es leider viel zu viele gibt; andere lassen Buchstaben tanzen und zaubern mit der Kraft des Besonderen.
Zu letzteren gehört Jack White, Jahrgang 1975. Den meisten ist der Detroiter als stimmgewaltige männliche Hälfte der White Stripes bekannt. Inzwischen schickt er sich alleine an, dem simplen Blues neue Facetten abzugewinnen. Mit Erfolg. Der Motor seines Schaffens ist Leidenschaft. Die treibt ihn an, das Pure zu destillieren und frisch zu vertonen. Und die ist es auch, die ihn als Texter außergewöhnlich macht. Weil er sich nicht mit dem Erstbesten begnügt. Eine Tugend, die sich Schreiber aller Genres zu Herzen nehmen sollten: Tanzt den Saint-Vitus-Dance, ihr Autoren, und schüttelt euch Originelles aus den Fingern.
PS: Dass es sich im konkreten Fall um eine Coverversion handelt, sollte freilich nicht verschwiegen werden. So geht der Song ursprünglich auf Rudolph Toombs (gestorben 1962) zurück, der „I’m Shakin'“ für den R’n’B-Sänger Little Willie John geschrieben hatte.
Herrenmagazin statt Bibel
„Die Zeit heilt keine Wunden, bild dir das bloß nicht ein, sie haben die Bibel nur erfunden, um selber Gott zu sein.“
Herrenmagazin: Keine Angst (2:01), auf: Das wird alles einmal dir gehören (2010).
Herrenmagazin. Die erste Assoziation ist – falsch! Hier geht es nicht um die windige Lyrik Prosa einschlägiger Heftl, sondern um den durchdachten Poesie-Pop der gleichnamigen Indie-Rockband aus Hamburg. Die Herrschaften um den Gitarre schrubbenden Sänger Deniz Jaspersen punkten insbesondere bei den Texten. Ausgerechnet, bei dem Namen. Hatten wir schon, macht aber nix.