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Hokuspokus Lokus
„Es ist das beste Plumpsklo in ganz Dakota.“
Tom Robbins: Sissy – Schicksalsjahre einer Tramperin. Rowohlt, 1981.
„Sie waren von England nach Minneapolis geflogen, um sich ein Klo anzuschauen.“
Nick Hornby: Juliet, Naked. Kiepenhauer & Witsch, 2009.
„Es fing an wie üblich, auf der Damentoilette des Lassimo-Hotels.“
Jennifer Egan: Der größere Teil der Welt. Fischer Taschenbuch, 2013.
Worin liegt nochmal der Reiz, eine große Geschichte an einem kleinen Ort zu beginnen? Einem stillen Örtchen, wie man sagt, das aber in aller Regel gar nicht so still ist? In WC-Stein gemeißelt scheint die Feststellung, dass erste Sätze mit Klo-Bezug häufiger den Weg vorbei an Chef-Lektoren und Schlussredaktionen in publizierte Bücher finden, als es blitzblanke Toiletten in Verlagshäusern gibt. Ob die Rechnung aufgeht, also 00 statt 0815? In obigen Beispielen sehr wohl. Diese Intros sind schön geformte Schlüssellöcher für die Voyeure in der Leserschaft. In der Hoffnung auf intime Einblicke in sprudelnde Figurenwelten, in die wir alsbald hineingespült werden, nähern wir uns Wort für Wort dem unbedingten Geschichtensog. Griff ins Klo? Keineswegs. Eher Hokuspokus Lokus.
Die größere Kunst der Welt
„Es fing an wie üblich, auf der Damentoilette des Lassimo-Hotels.“
Jennifer Egan: Der größere Teil der Welt. Fischer Taschenbuch, 2013.
Erste Sätze mit Toilette: Griff ins Klo oder Hochglanzpolitur? Sofern sie raffiniert gestrickt sind wie Jennifer Egans Einstieg oder der von Nick Hornby in Juliet, Naked, funktionieren sie bestens. Als Schlüsselloch für den Voyeur in uns, als Lockstoff für Neugierige, die wissen wollen, was in besagtem WC so vor sich geht, und warum „wie üblich“. Der Leser folgt, in diesem Fall garantiert, und ehe er sich’s versieht, ist er bereits hineingesogen in den Strudel einer Geschichte, die von Mikro- zu Makrokosmos, von San Francisco nach Südafrika, vor und zurück durch die vergangenen Jahrzehnte springt, dass einem ganz schwindelig wird. Das liegt an der großen Erzählkunst der New Yorker Autorin und Journalistin, Jahrgang 1962, die für ihr Meisterwerk (im Original: „A Visit from the Goon Squad“) 2011 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Es geht um den Wandel der Musikbranche, die Facetten der Liebe, die Beständigkeit der Freundschaft, um Ideale, Träume und Verrat. Vor allem aber ist der Gesellschaftsroman ein Buch über die Zeit. Über das Verrinnen der Zeit und die Furchen, die sie dabei gräbt. Weiterlesen