Getagged: Erste Sätze
Der Kniff mit Biff
„Ihr glaubt, ihr wisst, wie die Geschichte endet, aber das stimmt nicht.“
Christopher Moore: Die Bibel nach Biff (2002). Goldmann, 2002.
Christopher Moore, Jahrgang 1957, spricht den Leser gleich mal direkt an. Es gibt Theoretiker, die sagen, dass sollte man besser bleiben lassen. Ich mag das. In einem seiner witzigsten Bücher ist es, genauer gesagt, nicht der humorbetankte US-Autor, der den Leser im Plauderton anquatscht, sondern Levi. Levi, den man Biff nennt, erzählt forsch und frei einfach drauflos. Und zwar nicht irgendeine Geschichte. Sondern die von den wilden Jugendjahren von Jesus. Biff muss es wissen, denn er war dabei: Er war der beste Kumpel von Jesus. Steile Idee, steile Eröffnung.
Das Leben des O’Brien
„Don’t just lie there. Get up and evolve!“
Glenn O’Brien: How to be a Man (2011), Rizzoli Int. Publications, 2011
Glenn O’Brien, Autor und Ästhet aus Cleveland, sagt Männern, wie sie sein und was sie tun sollen. Zum Beispiel, dass das Glas der Frau immer schön voll sein soll, dass Flip-Flops „Fool shoes“ sind, und dass man morgens „Nickelodeon“ schauen soll, wenn die Freundin den Heiratsdruck erhöht. Kate Moss sagt: „If more men read Glenn O’Brien, women would have a lot less explaining to do.“ Calvin Klein sagt: „Glenn O’Brien is the Socrates of popular culture.“ Wird schon was dran sein. Also steht auf, Männer, und entwickelt euch!
Die Entdeckung des Mulisch
„Genau um Mitternacht sorgte ich für einen Kurzschluß.“
Harry Mulisch: Die Entdeckung des Himmels (1992), Rowohlt, 1995.
Harry Mulisch, 1927 bis 2010, war einer der ganz Genialen. Ein Streber unter den Schriftstellern, gewiss, aber hier regiert nur der Neid. Denn der Niederländer war und ist ein Geschichtenkonstrukteur zum Niederknien.Sein 2001 verfilmtes Hauptwerk ist eine herbeigeschriebene Naturgewalt. Umwerfend! Unerreicht! Unverschämt gut! Den Inhalt kurz zusammenzufassen, käme der Aufgabe gleich, die Bibel auf den Punkt zu bringen. Kruzifix, das geht nicht! „Die Entdeckung des Himmels“ handelt von einer Männerfreundschaft. Einem göttlichen Auftrag. Dem biblischen Bund. Es geht um die Gesellschaft, das Leben. Und mehr. Erzählebenen werden verschachtelt und um die Augen gehauen, dass einem ganz schwindlig wird. So ist der erste Satz – ein vielversprechendes, mehrdeutiges, gelungenes Exemplar – eigentlich gar nicht der erste Satz. Sondern der zweite erste Satz. Aber der erste Satz des Prologs ist zu kurz für eine Widmung. Er lautet: „Augenblick!“
Steinfest beinhart
„Ihre Beine waren zu dick.“
Heinrich Steinfest: Cheng – sein erster Fall (2000). Piper, 2009.
Heinrich Steinfest, Jahrgang 1961, ist Österreicher. Und er schreibt Krimis. Da liegt der Vergleich zu Wolf Haas, Jahrgang 1960, auf der Zunge. Auch Steinfest hat sich den schwarzen Humor mit dem Bierkrug einverleibt, und das Sezieren der Gesellschaft macht ihm wahrscheinlich ebenso viel Spaß wie seinem meisterhaften Kollegen, wenngleich die Erzählstimme nicht den außergewöhnlichen Tonfall findet wie bei den Brenner-Krimis. Ob du es glaubst oder nicht, aber das kann nur der Haas. Genie Hilfsausdruck.
Puppenmord mit Tom Sharpe
„Wenn Henry Wilt den Hund zu einem Spaziergang ausführte, oder richtiger, wenn der Hund ihn ausführte, oder um genau zu sein, wenn Mrs. Wilt beiden sagte, sie sollten bloß sehen, dass sie aus dem Haus kämen, damit sie ihre Yogaübungen machen könne, schlug er stets denselben Weg ein.“
Tom Sharpe: Puppenmord (1976). Goldmann, 2001.
Tom Sharpe, Jahrgang 1928, ist ein britischer Schriftsteller der witzigsten Sorte. Seine Figuren und Dialoge sind unverwechselbar und saukomisch. Die Abenteuerkrimis um den Eigenbrötler Henry Wilt muss er mit Schwarzhumortinte geschrieben haben.
Tom Robbins im Froschpyjama
„Der Tag, an dem der Aktienmarkt aus dem Bett fällt und sich das Genick bricht, ist der schlimmste Tag deines Lebens.“
Tom Robbins: Halbschlaf im Froschpyjama (1994). Rowohlt, 1997.
Tom Robbins, Jahrgang 1932, ist der Gottvater der Metapher, der König der ungekrönten Vergleiche, der Lehrmeister der Phantasie, der Schöpfer der Wortschöpfung, der Erstplatzierte der ersten Sätze, der Erfinder der Kreativitätstheorie. Die wilden Romane des US-Amerikaners sind Sex, Philosophie, Lebensfreude. Unterhaltung, Religion, Politik. Und immer Inspiration für alle, die schreiben. Er ist der Maßstab der Erzählkunst. Er ist Literatur. Punkt.